aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (2019)
geschrieben am 15. August 2003 18:15:26:
ZIELSETZUNG UND REALITÄT – zur Information
Sehr geehrte Wißbegierige zum Thema der Paulinerkirche – gleich welcher Auffassung –, auch wenn meine Beiträge in diesem Forum weniger der Diskussion als der Information dienen und sich am Gesamtkonzept der Wiederbebauung des gesamten Areals zwischen Augustusplatz, Schiller-, Universitäts- und Grimmaischer Straße ausrichten, hoffe ich, daß die folgenden kurz ausgeführten Punkte zum Nachdenken anregen.
Der Wettbewerb sah vor, daß der Universitätskomplex am Augustusplatz als geistiges Zentrum der Leipziger Universität in dem historisch bedeutsamen Areal bis zum 600-jährigen Gründungsjubiläum im Jahre 2009 seine Bedeutung im Herzen der Stadt wiedererlangen soll.
Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie es um die Realitäten steht.
Historische Grundlagen
• In der Wettbewerbsbekanntmachung kam zwar das im Krieg zerstörte Café Felsche vor, nicht aber Augusteum, Paulinerkirche und andere wichtige Bauten des 18 Grundstücke umfassenden Geländes.
• Die Wettbewerbsausschreibung beinhaltete eine einzige Publikation als Literaturquelle (aus dem Jahre 1961).
• Die in einer Arbeitsgruppe des Paulinervereins formulierten weiteren Hinweise wurden verschwiegen.
• Ausführliche Wettbewerbsgrundlagen – wie sie mit obiger Zielsetzung notwendig gewesen wären – fehlten.
Ökonomisch-technische Grundlagen
Nach dem heutigen Stand der Technik ist eine Beplanung möglich, wo bis ins kleinste Detail jedes einzelnen Arbeitsraumes für die einziehenden Fachbereiche Funktionalität, Zugang, Verschattung u.v.a. wunschgemäß konzipiert werden kann, bevor dafür größere Summen ausgegeben werden. Hierbei können Studierende, Lehrkörper und interessierte Bürger mitwirken.
• Diese Herausforderung hätte bereits vor Jahren beginnen können. Sie wurde bisher nicht konkret in Angriff genommen. Es blieb bei allgemeinen Absichtserklärungen zur Beruhigung der Öffentlichkeit.
Demokratisierung der Planungsprozesse
Eine Stätte der Begegnung mit dem eingangs genannten hohen Anspruch kann nur gelingen, wenn hier die Erfahrungen aus der Geschichte und der Bürger im Planungsprozeß einfließen.
• Realität ist, daß die Meinungen der Bürger zum Wettbewerb (Gasherd, Schuhkartons, Klotzologie, schlechter als die gegenwärtige Architektur) und der Universitätsleitung (Siegerentwurf) zu großen Teilen diametral gegenüberstehen. Die Universitätsleitung hat nicht erkennen lassen, daß sie gewillt ist, auf die vielfältigen Anregungen der Bürger einzugehen.
• Nicht klar ist, von welchem Verantwortungsträger die obigen Zielstellungen kontrolliert werden. Dem Wettbewerbsverfahren fehlt die Transparenz (Methodik der Auswahl und Entscheidungen, Einbeziehung regionaler Potentiale, konkrete Verantwortlichkeiten bei auftretenden Mängeln und Fehlplanungen).
Gesamtkonzept
• In den Planungen der Universität wird zwar von einem bestätigten Raumkonzept gesprochen, aber nicht von einem – für Bürger wie Studenten und Lehrkörper – verständlichem, schlüssigem und langfristig wirkendem Gesamtkonzept.
Investorenmodell
Um möglichst billig zu bauen, wird ein Investorenmodell verwendet, bei dem ein großes universitäres Gelände zur Vermarktung für 99 Jahre verpachtet und damit kostenlos für die Universität gebaut wird.
• Es liegt jedoch nach meiner Kenntnis keine öffentlich zugängliche Analyse vor, inwieweit dieses bereits beim Petersbogen verwendete Modell hinsichtlich Repräsentativität, optimaler Arbeitsmöglichkeiten und langfristiger Anforderungen für die Juristenfakultät (oberhalb von Maggi, Kino, Spielcasino, Discounter u.ä.) maßstabbildend sein kann.
Steuergelder
Dennoch werden für die Baukosten des Gesamtvorhabens weitere dreistellige Millionenbeträge an Steuergeldern veranschlagt.
• Auch hier ist es meines Erachtens erforderlich, unabhängig zu analysieren, ob bisherige Steuergelder optimal verwendet wurden (z.B. im Vergleich genannter und weiterer Kriterien beim Wiederaufbau der denkmalgeschützten Universitätsbibliothek oder bei Neubauten wie dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum).
Zeithorizont
• Immer wieder kommen Forderungen auf, schnell zu bauen. In Zeiten knapper Kassen, wo viele Bürger jeden Euro mehrfach umdrehen, bevor sie ihn ausgeben, sollte man schon genau hinschauen, wenn es um dreistellige Millionenbeträge geht. Schließlich kann das Ganze noch viel teurer werden, wenn nach einigen Jahrzehnten dann wieder neu gebaut werden muß. Wenn man die Geschichte der Universität betrachtet, wurde z.B. zum 300-jährigen Jubiläum auch danach gebaut (1710-1712 erfolgte der Innenausbau der Paulinerkirche, der über 180 Jahre weitgehend Bestand hatte). So lernte auch Johann Sebastian Bach die dortige Orgel schätzen und die damalige, für heutige Verhältnisse bescheidene Inneneinrichtung.
Bestand
• Wichtig für den Wettbewerb wären die genauen Bestandsinformationen der Universität gewesen, d.h. nicht nur die Bergungsliste der Paulinerkirche, die im Endeffekt nur eines der 137 teilnehmenden Architekturbüros in Augenschein nahm.
• Derzeit liegen in der Etzoldschen Sandgrube nicht nur das Augusteum, das Albertinum, das Johanneum und die Paulinerkirche. Dort wurden auch die Kellerbereiche bis hin zum „Goldenen Bären“ abgeladen. Das betrifft Teile wie u.a. Bronzeplatten, Teile der Antikensammlung, Plastiken und weiteres Inventar.
• Die systematischen Bestandsaufnahmen der Universität aus dem Jahre 1950 sind bisher nicht wieder aufgefunden worden.
Erinnerungslücken
Im Sinne der Zielsetzung der Wiedererlangung eines geistigen Zentrums kann man nur guten Gewissens Neues schaffen, wenn man auch auf den Werten aufbaut, die 1968 liquidiert werden sollten. D.h. die bestehenden Defizite und Lücken in der Geschichtsschreibung der Universität Leipzig sind bei weitem noch nicht abgebaut.
• Die aktiven Organisationsstrukturen der damaligen SED und der Stasi als eigentlicher Kopf der Karl-Marx-Universität im Zuge der gezielten Zerstörung der Universitätsbauten sind bisher nicht offengelegt worden.
• Die Behauptung, daß die Universität nur Opfer der Maßgaben von Walter Ulbricht und Paul Fröhlich war, ist falsch. Es gab einen größeren Kreis, der aktiv an der Vernichtung der Universitätsbauten beteiligt war. Während durch Initiativen einzelner Bürger von der Universitätskirche wichtige Teile geborgen wurden, stellen sich viele Fragen hinsichtlich der Bergung bzw. Nichtbergung aus dem Augusteum und dem Albertinum.
• Bezüglich der hektischen Operationen in der Paulinerkirche vom 23.-29. Mai 1968 haben sich bisher nur wenige ehemalige Beteiligte als Zeugen gemeldet, obwohl keine Geheimhaltungspflicht mehr besteht.
Demokratisierungsprozeß
• Diejenigen, die im studentischen Widerstand und in den Geschehnissen im Jahre 1968 mit Zivilcourage für die Universität Leipzig Zeichen setzten, können derzeit ihr Engagement und ihren persönlichen, gelebten Einsatz nicht in leitenden Funktionen bzw. leitenden Ehrenämtern der Universität an kommende Studentengenerationen weitergeben. Sie stehen fast alle „draußen vor der Tür“.
• Im Verlaufe der vergangenen Jahre habe ich mehrere Professoren und Verantwortungsträger der Universität Leipzig zu dem gesammelten Material und Planungsmöglichkeiten informiert. Eigeninitiative, Engagement bzw. eine konstruktive Einbeziehung war von deren Seite nachweislich nicht zu spüren.
Die eigenen Erfahrungen
Die unter http:www.paulinerkirche.org gezeigten, von mir erarbeiteten Materialien sind natürlich nur ein Bruchteil dessen, was damit in Verbindung steht. Schließlich geht es um künftige Funktionen, gesamtkonzeptionelle Untersuchungen, eine Vielzahl recht anschaulicher Modelle und die Einbeziehung reichhaltiger Bestände und Materialien aus Archiven, die bisher nicht oder kaum bedacht wurden.
Seither kann ich als Zäsur feststellen: All dieses mußte unbezahlt erfolgen, eine Einbeziehung seitens der verantwortlichen Universitätsgremien gab es, obwohl meinerseits seit über dreieinhalb Jahren Vorschläge eingebracht wurden, nicht. Welche Aktivitäten die Universitätsleitung betreibt, erfuhr ich nach einer Email am 24.02.2003 an die Hochschulrektorenkonferenz, in der ich die Verhältnisse an der hiesigen Universität erläuterte. Nach zehn Tagen wurden mir Email und Homepages gekappt und ich erhielt Hausverbot für die Universität Leipzig… Letzteres schreibe ich nur, weil ich hiermit die interessierten Leser um Verständnis bitte, dass die Erweiterung einiger, für künftige Planungen wichtige Details unterbrochen werden mußte.
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aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (2024)
geschrieben am 20. August 2003 13:01:31:
Re: ZIELSETZUNG UND REALITÄT – zur Information
Als Antwort auf: Re: ZIELSETZUNG UND REALITÄT – zur Information geschrieben von Michael Weiss am 18. August 2003 04:56:06:
Sehr geehrter Herr Weiss,
zur ersten Anmerkung:
man muß nicht die ganze Grube ausbuddeln. Wenn man weiß, wie das Ganze angelegt wurde, läßt sich der Aufwand reduzieren. Hierzu gestalten sich die Zeugenaussagen derzeit noch lückenhaft. Natürlich sind Kostenkalkulationen und genaue Prüfungen unabdingbar.
Aber Sie haben Recht. Dort ist mehr abgelagert worden, als sich mancher derzeit vorstellen kann...
zur zweiten Anmerkung:
Natürlich ist es so, daß man die Arbeit vieler an der Universität nicht hoch genug schätzen kann. Was Sie meinen, ist zum einen die Haltung der Universitätsleitung und zum anderen das Manko an freimütigen Diskussionsbeiträgen aus der Universität selbst u.a. in diesem Forum in den vergangenen Jahren. Hierzu kann ich mir vorstellen, dass Sie bestimmt einige Dutzend Stimmen erwartet hätten, die sich insbesondere nicht in Klagen oder Forderungen erschöpfen.
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aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (2025)
geschrieben am 20. August 2003 13:11:49:
Re: ZIELSETZUNG UND REALITÄT – zur Information
Als Antwort auf: Re: ZIELSETZUNG UND REALITÄT – zur Information geschrieben von M. Richter am 19. August 2003 23:00:37:
Sehr geehrte Frau Elisabeth,
Sehr geehrter Herr Dr. Schneider,
Sehr geehrter Herr Richter,
gestatten Sie mir ausnahmsweise, daß ich auf Ihre Nachfrage zusammen und etwas ausführlicher im Sinnzusammenhang eingehe.
Ein kleiner, gemeinnützig und vorwiegend ehrenamtlich tätiger Verein, die Gustav-Theodor-Fechner-Gesellschaft e.V., hat einige Schreibtische, Bücher, Akten und Computer in der Universität stehen. Einiges der Arbeit wurde mit ABM-Geldern finanziert. Damit Sie auch sehen, was mit den Mitteln angestellt wurde, können Sie gern in die Gutenberg-Bibliothek schauen, die derzeit ihr Heim hat unter /http://gutenberg.spiegel.de/ hat. Dort können Sie z.B. unter http://gutenberg.spiegel.de/fechner/start.htm einen großen Teil von Fechners Hauptwerken nachlesen. Weiteres z.B. zu Wilhelm Wundt ist in Arbeit. Seine Selbstbiographie ist bereits online, ebenso etwas zur Universität.
Ein klitzekleines Detail ist folgendes: Sinn war, daß bis zum großen Universitätsjubiläum ein Großteil der Wissensbestände digitalisiert wird, damit sie frei und weltweit verfügbar sind – also praktische Wissensgesellschaft, auch als Werbung für die Universität Leipzig und als Schonung für manche gefährdete Bibliotheksexemplare (manche Werke existieren nur noch in wenigen Exemplaren), unabhängig der Fakultät oder dem historischen Ort (Dissertationsverteidigungen im Bornerianum, Psychologisches Institut im Johanneum etc.). Da beim Gutenberg-Projekt jeder Interessierte mitmachen kann, hätte es bestimmt auch Freiwillige z.B. unter Studenten und emeritierten Professoren gegeben.
Aber was soll man machen, wenn von der Universitätsleitung nicht mal eine Sachdiskussion geführt wird?? Die Vorschläge waren 1999 bereits im Internet.
Ein zweites Detail möchte ich noch anfügen. Es geht nicht nur um Texte oder Bilder oder didaktische und Architekturmodelle wie bei www.paulinerkirche.org. Ein Punkt sind die Nachbauten alter Experimentiergeräte und die Rekonstruktion von Versuchen u.a. für das Internet. Dies zählt zu Rubriken wie „Virtuelle Maschinen“ und „Echtzeitexperimente“ – also High-Tech vom Feinsten auf innovationsträchtigen Zukunftsfeldern. Aber was soll man machen, wenn…??
Dies möchte ich nur zum Sinnverständnis einfügen, um nun auf den Punkt zu kommen, wo die Universitätsleitung mit der Erteilung eines Hausverbotes umgehend aktiv wurde: es war als einziger Argumentationspunkt tatsächlich nur eine nicht öffentliche Email, die ich nicht der Universität Leipzig, sondern der Hochschulrektorenkonferenz sandte.
Weiteres dazu nur über obige Email.
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aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (2028)
geschrieben am 22. August 2003 22:56:59:
Re: ZIELSETZUNG UND REALITÄT – zur Information
Als Antwort auf: Re: ZIELSETZUNG UND REALITÄT – zur Information geschrieben von M. Richter am 20. August 2003 23:54:40:
>Aus meiner Sicht halte ich eine eingehende Rechtsberatung in der erwähnten Angelegenheit für dringend angeraten.
Sehr geehrter Herr Richter,
wie Sie aus meinen Materialien ersehen, kümmere ich mich um inhaltliche Dinge und Forschungsfragen. Dabei möchte ich es belassen.
Daß dazu viele schonungslose Analysen gehören, die mancher eher als Kritik denn als zu nutzende Entwicklungschance begreift, ist ein anderes Thema. Aber da es eine unabhängige Justiz gibt, kann ich Ihnen in diesem Falle mitteilen, daß sich das Amtsgericht Leipzig bereits eindeutig geäußert hat.
>Die von Fechner in Leipzig erfahrene Leidenszeit soll dabei weniger Trost sein als die Tatsache, daß er sie überstehen konnte.
Hoffen wir, daß
die kommende Universitätsleitung auch auf der Schöpferkraft
und Umsicht dieser Blütezeit ihrer Vorgänger aufbaut.
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aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (2035)
geschrieben am 28. August 2003 23:51:13:
Re: ZIELSETZUNG UND REALITÄT
Als Antwort auf: Re: ZIELSETZUNG UND REALITÄT geschrieben von Elisabeth am 24. August 2003 23:12:03:
Sehr geehrte Frau Elisabeth,
Ihre Nachfrage bringt mich etwas ins Grübeln. Aber im wissenschaftlichen Selbstverständnis entspreche ich dem natürlich. Sagen wir es so: Meine Interessengebiete siedeln sich in bestimmten Technologiebereichen an, die weltweit auf den Gebieten der Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Didaktik, Architektur etc. zunehmend angewandt und in einigen Jahren und Jahrzehnten für gravierende Paradigmenwechsel sorgen werden.
Von dem Know-how, mit dem ich mich befasse, kommen null Prozent von der Universität Leipzig.
Meine mehrjährigen und nachweislichen Aktivitäten gehen daher in zwei Richtungen.
Zum einen sind es Forschungsfragen, die zuförderst die Informatik betreffen. Sie haben Recht – die Unabhängigkeit der Forschung ist ein hohes Gut. Das bedeutet an der Universität Leipzig, daß die berufenden, zuständigen Professoren nicht reagieren müssen. Fachdiskussionen fanden nicht statt. Beide Professoren haben Leipzig längst wieder verlassen...
Zum anderen sind es besonders im Zusammenhang mit Anwendungen und den Wettbewerben Fragen in Zuständigkeit der Universitätsverwaltung bzw. -leitung. Auch hier müssen die Verantwortlichen nicht reagieren. Zu meinen Vorschlägen, Informationen und Hinweisen gab es keinerlei Einbeziehung bzw. Fachdiskussion etc. pp.
Hieraus ergeben sich möglicherweise einige Fragen, die ich vielleicht einmal explizit formulieren werde, auch unabhängig von der heute bekanntgegebenen Wettbewerbsneuausschreibung.
Die Details zum Beschluss des Amtsgerichtes Leipzig können Sie gern individuell erfragen.