aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (3897)

geschrieben am 12. Juli 2004 23:51:17:

Offener Brief

Heute referierte der Rektor der Universität Leipzig, Herr Prof. Dr. jur. Franz Häuser, zum Thema: "Campus-Neubau am Augustusplatz - Aufgabe und Herausforderung". In der Hoffnung, daß er sich dieser Herausforderung stellt, übergab ich ihm anschließend den folgenden Brief, der am 27. Mai 2004 an die Neue Zürcher Zeitung ging und dessen Inhalt ich hiermit für alle Interessenten bereitstelle.

Offener Brief zum Schreiben von Herrn Prof. Franz Häuser an die Neue Zürcher Zeitung

Rektor der Universität Leipzig

Herrn Prof. Dr. Franz Häuser

Ritterstraße 26

04109 Leipzig

Leipzig, den 27. Mai 2004

Sehr geehrter Herr Professor Häuser,

 

in Ihrem Leserbrief an die Neue Zürcher Zeitung vom 8. April 2004 sprechen Sie von einer „grundsätzlichen Klarstellung“ sowie der inneren Bereitschaft zur kritischen und nachhaltigen Reflexion. Den Lesern möchte ich einige Grundsätze erläutern und hoffen, daß die Reflexionen zu einem konstruktiven Handeln führen.

Wiederbebauung im Herzen Leipzigs

Grundsätzlich ist festzustellen, daß das Thema nicht auf „Leipzigs Universitätskirche“ einzugrenzen ist. Auf 18 (!) der geschichtsträchtigsten Leipziger Innenstadtgrundstücke soll wieder gebaut werden, da die „mit kluger Voraussicht“ proklamierten „großartigen“, „zweckmäßigen“, „zukunftsweisenden“ und „modernsten“ Universitätsplattenneubauten der 60er Jahre anstelle der mutwillig gesprengten nie richtig funktionierten und verschlissen sind.

Da die Universität Leipzig im Jahre 2009 ihr 600-jähriges Bestehen feiern will, stellt sich die Frage, mit welchem geistigen Anspruch an einer der ältesten deutschen Universitäten heute geplant wird und wie geschichtliche Kontinuität wieder hergestellt werden soll und kann.

Die Bau-, Kultur- und Geistesgeschichte Leipzigs und der Universität birgt bedeutende Qualitätsmaßstäbe in sich. Denn die Vorgängerbauten prägten teilweise über Jahrhunderte auf diesem Gelände die Stadt und weltweite Wissenschaftsentwicklungen. Der „Goldene Bär“, das „Fürstenhaus“, die „Bürgerschule“, das „Beguinenhaus“, das „Paulinum“, die Universitätskirche St. Pauli und das Augusteum sind nur einige der wichtigsten Begriffe in diesem Zusammenhang.

Die Frage ist daher, wie heute nach den kulturbarbarischen Fehlentwicklungen von 1968 mit der Geschichte an dieser staatlich finanzierten Hochschule umgegangen wird.

Anknüpfung an verhängnisvolle Strukturen und Vertuschung

Auf eben diesen erwiesenermaßen unbrauchbaren klobigen Strukturen führt die Universitätsleitung die Planung weitgehend fort. Im Gegensatz zur Universitätsbibliothek, welche im 2. Weltkrieg schwer beschädigt und beispielhaft wiederhergestellt wurde, wird die Geschichte nach 1945 nachweislich ausgeklammert.

Zuerst setzt Ihr Amtsvorgänger Prof. Bigl einen SED-Altkader und Experten für sozialistischen Städtebau als Leiter ein, um Leitvorstellungen für den neuen Campus entwickeln zu lassen. Mit dieser Besetzung wurde die universitätsseitig gewollte Bürgernähe nach dem 2.12.1998 verhindert. Wie u.a. aus den Protokollen hervorgeht, fällten Senat und Konzil im Jahre 1999 Entscheidungen, ohne daß das notwendige Fachwissen vorhanden zu sein schien. Was die entsprechende Arbeitsgruppe hervorbrachte, ist nicht veröffentlicht, geschweige denn diskutiert worden. Für eine staatlich finanzierte Hochschule ist dies umso schwerwiegender, da sie in ihrem Auftrag und Selbstverständnis Bildung vermitteln und mit Forschung herausragende Leistungen erbringen sollte.

Stattdessen ließ mir Ihr Amtsvorgänger nur verlauten, als ich für den europaweiten Wettbewerb die Verfügbarmachung des Wissens wiederholt anmahnte und wiederholt meine Unterstützung anbot, da mit neuen Technologien die Planungen umfassender, qualitativ besser, effizienter und transparenter gestaltet werden können: „Wie diese Informationen verfügbar gemacht werden bzw. auf welche Weise die Teilnehmer dieses Architektenwettbewerbes sich diese Informationen selbst beschaffen, war für die Entscheidung zweitrangig.“

Um es noch einmal zu betonen: Es geht bei den 18 Grundstücksbebauungen nicht darum, alles nur nach historischen Vorbildern zu gestalten. Aber man muß sie kennen und ihre Bedeutung einschätzen können, wenn man städtebauliche Prägungen ausbauen möchte. Das Wissen um Fragen wie der randständigen Straßenbebauung, der Kleinteiligkeit, der Wegebezüge von der Kupfergasse bis zum Augustusplatz, der städtebaulichen Beziehungen wie zum Standort der Bürgerschule, muß gesetzt sein. Das Bebauungsgebiet läßt zu, daß sich eine ganze Reihe von Architekten auch mit vollkommen neuartigen Lösungen betätigen kann. Die Aufteilung in die derzeitigen Klötze mit der anonymen Tristesse von Gefängnistrakten hat nichts in der Leipziger Innenstadt zu suchen. Dazu reicht kein Verweis auf Jurys. Das neue Bildermuseum in Leipzig, das schon längst eröffnet sein sollte, mahnt, wie man mit hochkarätigen Wettbewerben das Leipziger Stadtbild verschandelt und gewaltige Steuermittel vergeudet.

Nichtwissenwollen, fehlende Transparenz, Ausgrenzung

Auch wenn Sie ständig von „langen inneren und öffentlichen Diskussionen“ sprechen und Verantwortung auf Partner oder Jurys verweisen, wird diese Argumentation damit nicht richtiger. Tatsache ist, daß eben die Öffentlichkeit zur Bevölkerung nicht hergestellt wurde. Im Gegenteil. Die vormalige Universitätsleitung grenzte in Vorbereitung des Investoren- und europaweiten Wettbewerbes 2001 vorsätzlich das verfügbare Wissen und eine demokratische Meinungsbildung aus. Selbst das Versprechen Ihres Amtsvorgängers, die Kritiken der Bürger zu berücksichtigen, wurde nicht erfüllt. Obwohl er bereits vor dem Wettbewerb im Jahre 2001 eine Dokumentation für wichtig hielt, blieb es bei leeren Worthülsen. Eine Auswertung der Gästebücher wurde nie veröffentlicht. Eine Sachdiskussion darüber wurde in der Öffentlichkeit nie geführt. Transparenz als Grundlage demokratischer Strukturen fehlt.

Dabei ist es die beste Investition, den Leipziger Bürgern, Studenten und Mitarbeitern der Leipziger Universität offen zu sagen: „Wie haben wenig Geld. Wir wollen mehrere tausend Quadratmeter für 99 Jahre verpachten, damit wir auf diesem Wege ‚kostenlos' zu besseren Räumen kommen.“ Damit können im Wettbewerb um die besten Ideen Engagement entwickelt, Potentiale geweckt und Identifikation gestiftet werden. Bestimmt wären damit bessere Ergebnisse möglich als bei der Juristenfakultät, die die nächsten 90 Jahre ihre Adresse mit Spielcasino, Kino, Lotto, Aerobic, Piercing, Billigläden und Ramsch teilt.

Doch stattdessen hat die ehemalige Universitätsleitung, der Sie später bereits angehörten, insbesondere den Studenten und der Öffentlichkeit vorenthalten, welche Immobiliengeschäfte mit gravierenden Auswirkungen gerade auf die Qualität der Studienbedingungen hier angebahnt wurden. Der Offenlegung weichen Sie bis heute aus, was einen großen Spielraum für Spekulationen um mögliche Verwicklungen von direkt und indirekt Beteiligten bietet.

Sie argumentieren in Ihrem Beitrag zum Standort Paulinerkirche, daß dieser „den übrigen Flächen- und Raumbedarf der Universität nicht nachteilig beeinflussen darf.“ Dabei wissen nicht einmal die Mitarbeiter, welche Flächen nach Investorenvereinbarung überhaupt konkret übrigbleiben.

Damit ließ es die ehemalige Universitätsleitung leider nicht bewenden. Entgegen der Universitätsverfassung mit der Verpflichtung demokratischen Denkens und Handelns sowie der Achtung, Andersdenkende zu fördern, werden diese „aufmerksam verfolgt“. Repressalien wurden eingeleitet wie im Falle von Dr. Dietrich Koch, um vom fragwürdigen Verhalten der Universitätsleitung abzulenken. Nicht anders ist es zu sehen - und man kann sich über dieses geistige Klima nur wundern -, wenn sich bei einer so großen Universität kaum Universitätsangehörige in öffentliche Foren trauen.

In meinem Falle wurde eine vertrauliche Email an die Hochschulrektorenkonferenz benutzt, um mir Hausverbot im Jahre 2003 an der Universität zu erteilen. Nicht einmal den später folgenden Beschluß des Amtsgerichtes Leipzig nahm die Universitätsleitung ernst. Dabei verwies es darauf, daß meine Äußerungen geeignet seien, den von mir „verfolgten Interessen nachzugehen“.

Tatsache ist, daß die Universitätsleitung damit gegen ihre eigene Verfassung und ihr Leitbild verstößt. Bevor ich auf meine Sichtweise zur Universitätskirche St. Pauli eingehe, möchte ich dies anhand Ihrer eigenen Argumentation erläutern.

Planungen ohne grundlegende Bestandsaufnahme

Ganze Forschungsrichtungen und auch Leipziger Wissenschaftler nehmen weltweit an Ausgrabungen teil, um Kulturwerte zu sichern, zu vermitteln und der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Einzig die Universität Leipzig verfüllt im Jahre 1968 ihre Geschichte in einer Sandgrube, und Sie argumentieren mit einer geschichtsklitternden Gedenktafel.

Wie halten Sie es mit der Universitätsverfassung in Besinnung jahrhundertealter wissenschaftlicher Traditionen und geschichtlicher Kontinuität, wenn Sie es dabei bewenden lassen, daß nicht nur wichtige Amtsvorgänger von Ihnen, sondern auch bedeutende Gelehrte und Leipziger Persönlichkeiten weiterhin anonym verscharrt bleiben?

Wo sind die Bestandslisten universitärer Kulturgüter z.B. aus den 50er Jahren? Wo sind die Kirchenbücher, Pläne u.v.a.? Wo sind Teile der Antikensammlung und andere wichtige Kulturgüter? Was ist noch alles verkippt worden?

Wie kann es sein, daß eine Universitätsleitung nach dieser unvergleichlichen Kulturbarbarei überhaupt ohne eine umfassende Bestandsaufnahme an Planungen geht und Sie nur die „in letzter Minute aus der Kirche geretteten Kunstwerke“ in den Vordergrund schieben wollen?

Die letzte Frage kann zumindest mit dem geschichtsfälschenden Tafeltext beantwortet werden. Stadtverordnete wie Universität widerstanden nicht nur nicht dem Druck eines diktatorischen Regimes, sondern sie betrieben aktiv die Vernichtung von Paulinerkirche, Albertinum und weiteren vom Krieg teilzerstörten Universitätsbauten. Die Zerstörung wurde auch von der Universitätsleitung vorangetrieben. Dies waren sorgfältig geplante Aktionen, in die in unterschiedlicher Weise auch Universitätsangehörige einbezogen werden mußten. Schließlich gab es eine ganze Reihe von Nutznießern, die sogar ihre Berufslaufbahn danach ausrichten konnten und zum Teil heute noch im Amt sind. Hier gibt es noch immer Aufklärungsbedarf. Wer von den Entwicklungen nach 1968 profitierte, konnte durchaus ein Interesse haben, daß dies nicht bekannt wird und Geschichte in diesem Falle weiterhin versandet.

Unabhängig von der nicht aufgearbeiteten SED-, Stasi-, KGB- und „Kundschafter“-Geschichte an der Universität Leipzig, gibt es im Zusammenhang mit der Vernichtung der Universitätsbauten durchaus Fragen, inwieweit sich in Einzelfällen Universitätsangehörige auch nach DDR-Gesetzen strafbar gemacht haben. Das betrifft insbesondere die Zerstörung bzw. das Verschwinden von Kulturgut.

Dieser Teil der geschichtlichen Aufarbeitung besitzt folglich im Selbstverständnis der Universität eine hohe politische Brisanz, so daß es endlich Zeit wird, in diesem speziellen Fall ehemalige SED-Kader und Altlasten (gleich auf welcher Seite sie sich heute vereinsmäßig, in Ämtern oder Ministerien positionieren oder neu profilieren wollen), von Entscheidungsvorbereitungen zu entbinden, damit nicht weiter Vertuschung und Verfälschung fröhliche Urstände feiert. Die Universität braucht endlich solide, vertretbare Sachgrundlagen und Wissensbasen, die sich ihrer Geschichte würdig erweisen.

Substantielle Defizite

Sie verwenden in Ihrem Schreiben an die Neue Zürcher Zeitung eine Terminologie, die der Sache nicht gerecht wird. Eine ganze Reihe von Formulierungen wirkt befremdlich. Schließlich geht es beim Wiederaufbau der Paulinerkirche nicht um eine „Kopie“, sondern um ein Bauwerk mit einer Grundfläche von etwa 31 mal 66 Metern. Leider trafen auch Ihre Amtsvorgänger mit Begriffen wie „Disney-Land“ oder „Zwangschristianisierung“ kaum universitäres Niveau.

In der Frage zur bereits bekanntgegebenen Überführung aller Kulturgüter der Universität sagten Sie zum Thema der Rückführung des Paulineraltars am 15. Mai 2004: „Ich weiß auch nicht, ob irgendjemand ein Interesse daran hat, einen entsprechenden Kriegsschauplatz in Leipzig zu eröffnen.“

Desweiteren formulieren Sie, daß ohnehin „nicht Größe und der äußere Glanz einer Wiedergutmachungs-Unternehmung“ entscheidend ist und wollen „einen Raum der Erinnerung an die Sprengung“. Dabei verwendeten Sie selbst den Begriff „Glanz“ am 15. Mai 2004, obwohl es eigentlich nur darum geht, das Selbstverständnis kulturellen Erbes wiederzugewinnen.

Sie reden von einem „Neubau des ‚Paulinums' (Aula/Kirche)“. Diese Begriffe sind historisch belegt und verfälschen somit Geschichte. Sie argumentieren mit dem dubiosen Terminus „Erinnerungskultur“, ohne daß er von Ihren Kritikern gebraucht wurde, da ja der Begriff Kultur mehr als „Erinnerung“ beinhaltet.

In der Frage, was die Umsetzung der Pläne für Sie auf lange Sicht bedeuten, nannten Sie am 15. Mai 2004 neben dem Augustusplatz nur den Bau „einer qualitativ hochstehende Mensa“...

Angesichts dieser Formulierungen stellt sich die Frage, wie sich die Universitätsleitung an ihr Leitbild im Streben nach Wissen und nach neuer Erkenntnis durch Qualifikation und Leistung hält und auf welchem Niveau die Zuarbeiten gebildeter Gremien liegen.

(Für den Leser sei angemerkt, daß dies nichts Neues ist. Schließlich gab es in der langen Geschichte der Universität auch Phasen, wo man z.B. vor über 300 Jahren die Erneuerung der Innengestaltung der Paulinerkirche auch nicht zum Jubiläum 1709 vervollständigte. Aber das Resultat von 1712 erlebte nicht nur Johann Sebastian Bach, sondern auch Felix Mendelssohn Bartholdy und mehrere Wissenschaftlergenerationen bis hin zu Paul Flechsig. Es kann sich also durchaus lohnen, anstelle von „Torschlußpanik“ auf solide Planungsgrundlagen zu setzen.)

Sie sprechen schließlich von einem „Alleinvertretungsanspruch einer Bürgerinitiative“. Dabei gibt es viele Bürgerinitiativen - und das schon seit Jahren. Sie müßten wenigstens aus der Presse erfahren haben, daß sich zahlreiche Nobelpreisträger, Prominente und sicherlich viele, viele Bürger an die Universität gewandt haben, insbesondere mit der Forderung nach Wiederaufbau der Universitätskirche. Sie können froh sein, daß sich so viele für die Leipziger Universitätsbauten einsetzen. Aber anstatt alle Kräfte, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung zu diesem Wiederaufbau sein sollten, konstruktiv einzubinden, bedeutet Verwaltungshandeln an der Universität Leipzig nur, daß man „aufmerksam verfolgt“. Nach meinen Erfahrungen könnte man fast zu der Annahme gelangen, daß es in Ihrer Verwaltung zu viele Stellen gibt, wo die zahlreichen Stellungnahmen, Vorschläge, Bekundungen und Einwürfe der Bürger gleich einem „schwarzem Loch“ spurlos verschwinden können.

Entwicklungsperspektiven

In den vergangenen Jahren habe ich mich zunehmend den Leipziger Universitätsbauten gewidmet, konnte schon eine ganze Reihe Zeitzeugen befragen und Archive nutzen und zumindest einen Bruchteil davon auf der Webseite www.paulinerkirche.org der Allgemeinheit bereitstellen. Bei dem letzten Wettbewerb galt es nun, nachdem unter Ihrer Universitätsleitung weiterhin Ignoranz und Ausgrenzung propagiert wird und sich das Büro von van Egeraat als einziges für die Geschichte interessierte, es mit allen Informationen zu versorgen, um diesen zu gewinnen und Verlorenes wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Doch nun geht es um die Realisierung im umfänglichsten Sinne der Stadtentwicklung und der Neuprofilierung der Universität Leipzig. Und aus diesem Grunde möchte ich nur aus der Sachkenntnis heraus (und nur darum geht es) meine Sichtweise allgemein und für die Universitätskirche St. Pauli im besonderen formulieren.

Nachdem in Leipzig viel Aufwand und Kraft in eine mehrwöchige Olympiaveranstaltung im Jahre 2012 gesetzt wurde, ist es an der Zeit, daß Leipzig endlich Ideen, Engagement und Ressourcen wieder auf langfristige wissenschaftliche und wirtschaftliche Perspektiven richtet. Hier liegt viel zu viel brach. Wissensgesellschaft ist immer konkret und erfordert demokratische wie transparente Strukturen.

Für die Universität Leipzig kann dies nur von Vorteil sein, einerseits um die geschilderten Defizite aufzuarbeiten und damit Kosten zu reduzieren, andererseits weil hinsichtlich der Immobilien und Standortentwicklungen nun mehr Spielraum für die Universität entsteht.

Um auf Ihren Artikel zurückzukommen, stellen sich doch in Bezug auf die Universitätskirche St. Pauli einige Fragen. Ist es denn ein würdiger Umgang mit den ehemaligen Rektoren, wenn ausgerechnet dort, wo sie ihre letzte Ruhestätte haben sollten, ein Autoparkplatz geschaffen wird? Ist denn das Debakel mit dem ehemaligen Universitätshochhaus nicht genug, daß man nun Nutzraumüberfrachtungen an den Schrägseiten des Kirchendaches wünscht? Wer möchte denn in Zukunft die Universität Leipzig kennenlernen, wenn er nur auf eine Aula mit „Erinnerungskultur“ trifft, die in jedem beliebigen Gewerbegebiet stehen könnte?

(Der für viele heute kaum mehr nachvollziehbare Maßstab in der Universitätsleitung von 1968, daß Geschichte erst im Jahre 1945 beginnt, kann nicht in einer Legitimation dessen enden. Auch die Versuche in Leipzig, das Gewandhausorchester zum Stadtorchester umzubenennen oder den Thomanern ein rein „weltliches“ Image zu verpassen, scheiterten kläglich.)

Die Menschen möchten die Universitätskirche St. Pauli kennenlernen und nachempfinden können, in welchem Umfeld Martin Luther die Kirche weihte, Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy ihre Werke erstmalig aufführten, ganze Wissenschaftlergenerationen zu wichtigen Anlässen wie Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen, Konzerten und Disputationen die Universitätskirche St. Pauli aufsuchten. Sie möchten diesen historischen Ort erleben, weil hier auch herausragende Maßstäbe des Weltkulturerbes geprägt wurden. Damit ist es ein Ort des Lernens und der Ehrfurcht vor der Leistung vieler Generationen, auf denen wir heute aufbauen.

Die Kirche, die Jahrhunderte Bestand hatte, kann unter Zuhilfenahme ihrer Trümmer wieder erstehen. Entsprechende realistische Kalkulationen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, existieren bereits. Sie wird so wieder aufgebaut, daß ihr Erhalt für die nächsten Jahrhunderte ohne weiteren größeren finanziellen Aufwand Bestand haben kann.

Stuhllager, Wechselbestuhlung, aufwendige Podiumstechnik, Schiebetüren, Film- und Projektionsflächen kann man sich sparen. Eine angemessene Klimatisierung, die den Bestand der Gemälde, Plastiken und weiterer Objekte schonend sichert, wäre schon das Höchste der Bedürfnisse.

Im Unterkeller haben Ausstellungsflächen Platz, u.a. mit den geborgenen Teilen der bunt bemalten Grüfte sowie weiteren Beständen, die in der Etzoldschen Sandgrube 1968 z.B. aus dem Augusteum stammen. Aber auch die Baugeschichte der Kirche kann in der Ausstellung von jedermann nachvollzogen werden.

Im Kirchenraum selbst erklingen das gesprochene Wort bzw. die menschliche Stimme und Musikinstrumente. Allein durch die Universitätsmusik und die Theologische Fakultät ergibt sich eine dauerhafte und für alle interessierten Bürger, Wissenschaftler, Studenten und Touristen erbauliche Nutzung.

Möge man sich dessen besinnen.

So hoffe ich, daß meine kleine textliche Anregung viele Leser zu eigenen Überlegungen und Initiativen anstiftet, damit kulturelle Identität wiederhergestellt werden kann.

Mit freundlichen Grüßen

 

Wieland Zumpe

http://www.paulinerkirche.org

Email: bach@paulinerkirche.org

Mitglied der Vereinigung von Förderern und Freunden der Universität Leipzig e.V.

Mitglied der Gesellschaft fĂĽr Effizienz in Staat und Verwaltung e.V.

Ausführlichere Informationen zu den angeschnittenen Themen finden Sie z.B. unter

Gestellte Fragen: http://f15.parsimony.net/forum25088/messages/2062.htm

Voraussetzung: http://f15.parsimony.net/forum25088/messages/2019.htm

Konzept: http://f15.parsimony.net/forum25088/messages/2063.htm

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