aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (6800)
geschrieben am 25. Januar 2006 02:10:48:
An die Leserinnen
Sehr geehrte Leserinnen,
gestatten Sie mir, da ich mich erstmals ausdrücklich an die weiblichen Leserinnen und somit auch an diejenigen wende, die das Forum bisher nicht besuchten wie Frauenvereine u.a. Initiativen, die entstandene Situation in Leipzig kurz und etwas umschreibend zu charakterisieren.
Die Universität Leipzig hat im vergangenen Jahrhundert verhängnisvolle Entwicklungen auf sich geladen. Die nationalsozialistische Ausrichtung der Universität, die zu großen Teilen bis heute nicht aufgearbeitet ist, machte auch vor der Universitätskirche nicht halt. Bereits 1937 gab es Pläne, sie zu einer „führergerechten Aula“ umzugestalten. Was die Nazis nicht schafften, nahm dann nach dem 2. Weltkrieg zunehmend Gestalt an, als sich „revolutionäre Kader“ an den Kulturwerten von Generationen und Jahrhunderten zu vergehen begannen. D.h. die Geschichte begann für diese im Jahre 1945 und alles vorher war ihnen, was sie nicht kannten, nichts wert.
Geschichtsverdrängung, -klitterung und Unterdrückung mußten folglich umfangreich und gezielt organisiert werden, damit die Zerstörung der wertvollen universitäreren Bau- und Geisteskultur der alma mater lipsiensis überhaupt als zu umjubelnde „moderne“, „zukunftsweisende“ Karl-Marx-Universität Leipzig propagiert und aufgebauscht werden konnte. (Man bedenke, eine Universität schmückt sich mit diesem Namen, wo sich Karl Marx bestimmt nicht für Kulturbarbarei und Personenkult hergegeben hätte.)
Die Resultate kennen wir. Lange Jahre der Deformation an der Universität Leipzig und in der Stadtverwaltung brauchte es, bis im Jahre 1968 diese Willkür ihre Kulturbarbarei in die Tat umgesetzt werden konnte. Verantwortliche, die diese Schande mit stützten, egal ob als Nomenklatur-, Partei- oder Spitzelkader, haben maßgeblichen Anteil an den verfälschenden Zielstellungen des Realisierungswettbewerbs, wo selbst Prof. Kulka zugeben mußte, daß dieser Wettbewerb eine Katastrophe sei.
Wohlgemerkt fehlte nicht das notwendige Wissen. Das Grundübel besteht darin, daß von Seiten der Universität Informationen, die damals schon bereitstanden, gezielt verdrängt und unterdrückt wurden. Die Ausschreibung vom Jahre 2001 beinhaltete (S.15) als einzige Literaturangabe die Arbeit von Renate Drucker aus dem Jahre 1961 (!). Man fragt sich, wofür Professoren für Geschichte, Kunst, Theologie etc. an der Universität Leipzig vom Staat bezahlt werden, wenn nicht die Freiheit von Forschung und Lehre gilt, sondern die Unterschlagung von Wissen. Dies ist meines Erachtens auch eine generelle ethische Frage des Wissenschaftsverständnisses.
Aber das nur nebenbei. Unter diesen Vorzeichen ist nicht zu erwarten, daß die inzwischen gealterten Herren „in sich gehen“, ihre Verstrickungen offenlegen bzw. etwas anderes auf die Reihe bekommen, was der Geschichte gerecht wird.
Weshalb ich mich nun an Sie wende ist folgender Umstand. Von über 400 in der Universitätskirche St. Pauli Begrabenen waren mehr als 30 Prozent Frauen.
D.h. nicht nur das Beguinenhaus fehlt im Planungsbezug, sondern auch dieser Umstand wird völlig verschwiegen. In der derzeit geklitterten Universitätsgeschichte ist nichts davon nachzulesen.
Es ist meines Erachtens unerläßlich, das Leben und Wirken der Frauen der Vergessenheit zu entreißen.
Diese Arbeit wird ziemlich umfangreich sein. D.h. ich würde mich freuen, wenn es Interessentinnen bzw. Initiativen gibt, die sich dem annehmen können.
Die notwendigen Recherchen sind auch erforderlich, weil nur im Zusammenhang mit den Familiengeschichten Entwicklungszusammenhänge der Universität, der Stadt Leipzig und der Wissenschaftsgeschichte erkenn- und nachvollziehbar werden. D.h. die Nachfrage bei Gottsched trifft eigentlich seine zweite Frau, Viktoria Eleonora. So ist es sicherlich öfters der Fall, daß erst über die Frauen bzw. Gattinnen, Mütter oder Töchter die Nachweise zu den Männern herstellbar sind.
Um einen kleinen Ausblick zu geben, sei erst einmal eine kleine statistische Auswertung der Vornamen bekanntgegeben.
Die Mädchennamen, die am häufigsten in der Universitätskirche St. Pauli nachweislich sind, beziehen sich mit teils unterschiedlichen Varianten auf die Namen Anna (24), gefolgt von Elisabeth (13), Margareta (12) sowie danach Catharina, Magdalena, Maria und Barbara.
(Bei den männlichen Vornamen ist das etwas schlichter. Der eindeutige Favorit ist hier Johann (55). Alle anderen Nennungen liegen unterhalb von zehn.)
Hinsichtlich der Veröffentlichungen der Namen der einzelnen Persönlichkeiten kann ich noch nicht genau benennen, in welcher Folge sich dies ergibt. Auf jeden Fall wird es wesentlich schwerer, Bildmaterial zu den Frauen zu finden. Dennoch hoffe ich, einige Anregungen und Hinweise demnächst geben zu können.
"Eine Universität ohne Geschichte hat keine Zukunft!"
Wieland Zumpe
Mitglied der Vereinigung von Förderern und Freunden der Universität Leipzig e.V.