aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (4672)

geschrieben am 17. Januar 2005 17:38:43:

Mal was für Herrn Dreiling zum Nachdenken

Gleich zu Beginn bitte ich um Entschuldigung, daß ich nicht alle Ihre Beiträge gelesen habe, aber irgendwie habe ich immer wieder den Eindruck bei Ihnen, daß vieles "Schnee von gestern", "abgehakt" oder vieles eben "nur" Geschichte sei. So wie Herr Dr. Christian Siemon vom bfb im LVZ-Forum schrieb: "Wer 15 Jahre nach der Kehre noch die Stasi bemüht, tut mir einfach leid."

Ungeachtet dessen, was nun der Leser selbst davon hält, stellen sich ja doch einige Fragen, warum Leipzig in eine wirtschaftliche Misere geraten ist und seine Potentiale nicht genutzt werden.

Aus diesem Grunde schreibe ich einmal einige Sätze, die Sie sich durch den Kopf gehen lassen sollten.

Wenn Herr Dr. Siemon die "Kehre" bemüht, dann ist ja damit ein historischer Prozeß gemeint. Also es war kein plötzliches Gewitter, sondern Stasi und die Kundschafter der HVA gestalteten aktiv zu unterschiedlichen Zeitpunkten und nicht von heute auf morgen "die Wende". D.h. als der Staat nicht mehr zu halten war (diese Einsicht gab es längst vor 1989), mußte ja doch irgendwie Machterhalt unter neuen Vorzeichen betrieben werden. D.h. "Schild und Schwert der Partei" und die Kampfreserven wurden gezielt ausgeschickt, um auf allen Ebenen neue Entwicklungen zu beherrschen, auch wenn irgendwie die Wertesysteme und Zielvorgaben abhanden gekommen waren. Nun gut, bei denen, deren Akten zu dick waren, wurde dies nur ein kurzer Aufstieg. Aber es endete eigentlich nie wie in Sostschenkos "Kuh im Propeller", sondern gerade in der Kohl-Ära auf gefederten Posten, von denen Sie, Herr Dreiling, nur träumen können. Aber diese "Aufgeflogenen" richteten wenigstens keinen weiteren großen Schaden an.

Schlimmer ist nun die Geschichte bei denen, deren Akten vernichtet wurden oder die glaubten, daß alle vernichtet seien (einige werden jetzt wieder abgeprüft). Denn sie mußten ja die Ausfälle in neu durcheinandergewürfelten Situationen irgendwie kompensieren. Und sie mußten Einfluß nehmen, daß an bestimmten Stellen keine Überprüfungen erfolgen, "eigene Leute" dies vornahmen oder eine "Delegierung" an solche Stellen erfolgte.

D.h. viele Geschehnisse wie beim bfb (und nicht nur dort, schließlich geht es ja um über eine Milliarde DM – allein in Leipzig (!)) wurden "organisiert" und werden damit vielleicht verständlicher. D.h. es geht hier nicht um "Stasi an sich", worüber Herr Tiefensee bestens informiert gewesen sein soll, oder um deren "seelsorgerische Betreuung". Es geht auch nicht um diejenigen Oibes u.a., die sich mit Selbstanzeige outeten bzw. intern ihr Vorleben offenlegten.

Sondern es geht darum, daß mit diesem Verfahren demokratische Entwicklungen und somit die eigentlich konstruktiven Potentiale in Leipzig abgeblockt wurden. Die Bedingung war einfach die, daß ehemalige Leitungskader bzw. "belastete" Mitarbeiter keine neuen Leitungspositionen übernehmen sollten. Dies passierte nur selten.

Die Folgen sind bestens bekannt. Diese Personen sind keine "Macher", sondern müssen x-mal überlegen, bevor sie etwas tun, damit sie nicht auffallen. Sie wollen keine Leute um sich haben, die ihnen auf die Schliche kommen können. Sie lassen lieber alles liegen, bevor sie etwas falsch machen...

Also wenn ein Herr Dreiling dort vorspricht, dann können Sie sich vorstellen, was passiert: Nichts, maximal ein freundliches Abwinken. Aber ich nehme an, Sie kennen diese Situation...

D.h. diesen Personen sind ehemalige SED-Mitglieder natürlich lieber, die unter Wahrung der Parteidisziplin und unter neuen Vorzeichen bis zur Selbstverleugnung dienen (vielleicht auch nur grummelnd oder zähneknirschend alles in sich hineinfressen, um ihren Posten nicht zu verlieren).

Somit können Sie sich vorstellen, daß unter einer derartigen "Beständigkeit" einer Organisation, eines Amtes oder einer Firma Transparenz, Effizienz und ein demokratisches Miteinander wohl keine Chance hatten, haben und haben werden. Es geht, wie Herr Dr. Christian Siemon vom bfb im LVZ-Forum beschreibt, um "Laienschauspieler", "Lügner", "Werkzeuge", "Establishment", "Kleingeister" "Günstlinge, die Kriecher und Nach-dem-Mund-Redner" etc.

Es geht in derartigen Strukturen nicht mehr um Inhalte und um beste Lösungen im Sinne regionaler Entwicklungen!

Die entstandene Situation belastet Leipzig weiter und vermutlich viele, die wie Sie guten Willens (wenn auch oft unterschiedlicher Meinung) sind und sich redlich und beständig bemühen, für diese Stadt und die Region einen möglichst sinnvollen Beitrag zu leisten.

Damit will ich nur sagen, daß viele Aspekte, die Sie in Ihren Beiträgen als "abgehakt" formulieren, natürlich weiterwirken. Bei Herrn Dr. Siemon ist dies schon verständlich, weil er lieber etwas ungesagt loswerden möchte anstatt der Staatsanwaltschaft ausführlich hierüber zu berichten. Aber Ihnen dürfte es doch eigentlich nicht egal sein. Wie gesagt, es ist nur zu Ihrer Überlegung formuliert, und ich erwarte keine Antwort, auch wenn Sie sich dies sicherlich nicht nehmen lassen :o)

Natürlich verweist das Eingangszitat von Herrn Dr. Siemon noch auf eine andere Seite: Wer tut ihm denn nicht leid? Wo ist denn als Nächstes nach dem bfb Geld abzufassen? Womit er einen ehemaligen Mitarbeiter anspricht "...willst Du nicht bei der OBM-Wahl kandidieren? Du passt ins Establishment." Dies ist aber ein anderes Kapitel, was Sie am einfachsten in der Publikation von Helge-Heinz Heinker in "Boomtown Leipzig – Anspruch und Wirklichkeit" (Faber&Faber 2004) nachlesen sollten. Dort finden Sie mehr über Filz, Inzucht u.a. in Leipziger Amtsstuben und über das Absterben demokratischer Entwicklungen im "Grube-See-Sumpf".

Abschließend stellt sich vielleicht die Frage für Sie, was dies mit diesem Forum zu tun hat. Dies möchte ich ebenso kurz anreißen. Wenn Sie in den letzten beiden Jahren der Provinzpresse Meldungen entnommen haben von einer "Paulinerchefin" oder "Stellvertretenden Vorsitzenden", so ist zu sagen, daß es diese vereinsrechtlich gar nicht gab. Und die selbsternannten Beiträge widerspiegelten auch nicht die Meinungen der Vereinsmitglieder, die gar nicht erst gefragt wurden. Es handelte sich nur um eine diplomierte Lehrerin für Marxismus-Leninismus, die unter Verschweigen ihrer Vergangenheit wieder mal „die Flucht nach vorn“ ergriff. Und da die Ex-Genossin und Fast-ML-Professorin ihre Ausarbeitungen zu DDR-Zeiten mit USA-Kontakten offiziell verband, braucht man keine große Phantasie zu haben, daß dies zumindest nicht ohne Wissen der HVA passieren konnte. Aber das brauchte die Dame ja nicht Herrn Prof. Blobel auf die Nase zu binden...

Und während beim Paulinerverein glücklicherweise ein Gerichtsurteil dem Spuk ein Ende setze, stehen an anderen Stellen die notwendigen Sumpftrockenlegungsprojekte immer noch aus. Oder hat z.B. die Theologische Fakultät mal ihre Stasiverstrickungen öffentlich gemacht...? Oder denken Sie, daß ein junger dynamischer Westreisekader sich nicht seinen "ehemaligen Gönnern" verpflichtet fühlt? Oder hätten Sie nicht lieber zu DDR-Zeiten im Hamburg oder Wien studiert?

Chronik der Wende