Eine Grabkammer von hunderten in der Leipziger Paulinerkirche
Johann Christoph Gottsched schrieb im Jahre 1763 zum vorgesehenen Epitaph für seine Ehefrau Luise Adelgunde Victoria Gottschedinn geb. Kulmus:
'Hier ist die Abbildung des Denkmaales, welches ich ihr
in unsrer akademischen Kirche, über ihrem Begräbnisse
mit dieser Inschrift werde aufrichten lassen:
'LUDOU. ADELG. VICTORIAE
E GENTE KULMIA GEDAN
INGENIO. ARTIBUS. VIRTUTE SCRIPTISQ.
INCLUTAE
CONIUGI SUAUISSIMAE
F. C.
MOESTISSIMUS MARITUS
IO. CHR. GOTTSCHED
NATA GEDANI D. XI APR. MDCCXIII
DENAT A LIPSIAE. D. XXVI IVN.
MDCCLXII.'
Unter und neben diesem sollen dereinst auch meine Gebeine verwesen: so wie sie neben dem Ueberreste unsers beyderseitigen Freundes,
des seligen Professors der Sittenlehre allhier, Johann Friedrich Mayes, ihre Ruhestäte bekommen hat. Ein glückseligerer Zustand
bringe uns durch die Weisheit und Allmacht des gnädigen Urhebers aller Dinge, dereinst freudig wieder zusammen! Ich schließe mit den Worten,
womit ich vor mehr als 35 Jahren, in einem Singgedichte, den Orpheus seine Euridice habe beklagen lassen:
Du hast mein ganzes Herz besessen,
Hinfort besitzt es keine mehr:
Ich habe mich zu hoch vermessen;
Den Meyneid straft der Himmel sehr.
Du lebest noch in meiner Brust,
Du bist und bleibest meine Lust;
Ich kann und will Dich nicht vergessen:
Du hast mein ganzes Herz besessen,
Hinfort besitzt es keine mehr!'
begraben am 15. Dezember 1766: Johann Christoph Gottsched (2. Februar 1700 Juditten - 12. Dezember 1766)
begraben am 29. Juni 1762: Luise Adelgunde Viktoria Gottsched geb. Kulmus (11. April 1713 Danzig - 26. Juni 1762)
begraben am 8. Januar 1762: Johann Friedrich May (23. März 1697 Türchau - 5. Januar 1762)
Wie hier angezeigt, wurden diese drei Persönlichkeiten zusammen in einer Gruft begraben. Eine Grabkammer war zumeist für drei Personen ausgelegt, übereinander und ohne Sarg aufgebahrt.
Auf der unteren Fläche lag Johann Friedrich May, auf der mittleren Luise Adelgunde Viktoria und auf der oberen Johann Christoph Gottsched.
Zudem gab es bei allen Begrabenen ein goldfarbenes Namensschild. Neben den teils üblichen silbernen Rosen oder anderem Grabschmuck wurden die Verstorbenen in ihren Amtsroben oder
festlichen Kleidern mit persönlichem Schmuck und individuellen Beigaben in ihr Ruhekämmerlein zur Erden bestattet. Die Grüfte waren teils prachtvoll ausgestaltet.
Man kann davon ausgehen, daß parallel zu den bereits teilweise restaurierten Epitaphien eine ebensolche Qualität auch in den Grabkammern bestand.
Inwieweit sich Gottscheds gewünschtes Epitaph für seine Ehefrau auch in der Grabkammer befand, ist derzeit nicht bekannt. Aber allein diese einzige Grabkammer besitzt europäischen Rang.
Hunderte Grabkammern
Wie bereits die obigen Planzeichnungen andeuten, geht es bei der Paulinerkirche nun nicht nur um e i n e Gruft, sondern um hunderte Grabkammern , die im vorsätzlich kriminellen Auftrag der DDR-Staatsregierung bzw. der SED-Führung
am Wochenende vor der Sprengung der Paulinerkirche in einer geheimen Kommandoaktion systematisch aufgebrochen und gefleddert wurden. Mehrfach abgesichert kassierten die Stasi-Beauftragten separat jeglichen Schmuck.
Die gefundenen sterblichen Überreste stopfte man einschließlich noch vorhandener Kleidung eilends in Kindersärge, die vernagelt und abtransportiert wurden.
Aktuell - notwendige Bergung als nationales Forschungsprojekt
Da es sich um ein DDR-Staatsverbrechen handelt, das zugleich für die Universität Leipzig das schwerwiegendste in seiner Geschichte war und zugleich das größte Kulturverbrechen in Deutschland nach dem II. Weltkrieg
liegt die zentrale Zuständigkeit zur Aufklärung beim Deutschen Bundestag und der Bundesregierung. So wurde das Bundeskanzleramt seit Jahren über die laufenden Arbeiten informiert und dem Präsidenten des Deutschen Bundestages,
Herrn Dr. Wolfgang Schäuble, wurde nicht nur eine Liste von 700 nachweislich in der Paulinerkirche Begrabenen zugesandt (von denen bereits über einhundert in Wikipedia ausgewiesen sind),
sondern auch Unterlagen und Pläne zum Verbringungsort der Toten sowie Ergänzungen zur notwendigen Bergung.
Aus der Gesamtliste von in Leipzig Begrabenen mit derzeit über 3000 Personen und über 7000 Nachweisen, von denen ein großer Teil in der Paulinerkirche zur Erden bestattet wurde, geht zugleich hervor,
daß die über mehrere Jahrhunderte erfolgten Beerdigungen in der Kirche auch zu Zeiten mit Übersterblichkeit aufgrund von Seuchen und anderen Katastrophen erfolgten. Gerade aus diesem Grunde
ist es von höchster Aktualität und Dringlichkeit, mittels zukunftsweisender wissenschaftlicher Methoden der Genetik nicht nur die Identitäten der Verstorbenen zu klären,
sondern die Möglichkeiten einer Gefahrenabwehr für potentiell neue gesundheitliche Bedrohungen zu erkunden und zu minimieren.
Zu Buche stehen die bisher geleisteten Digitalisierungen internationaler Bibliotheken und musealer Einrichtungen mit tausenden Originaldokumenten aus den jeweiligen Zeiten, die bereits zu großen Teilen online sind.
Das betrifft u.a. bildliche Darstellungen mit Porträts zu notwendigen Aufklärungen bezüglich der Verstorbenen. Zudem bilden schriftliche Würdigungen von Rektoren, vielfältige Predigten
u.a. mit Beschreibungen von Krankheitsverläufen, Abdankungen von Angehörigen und Freunden und eine Vielzahl von Biographien und genealogischen Angaben eine einzigartige Informations- und Wissensbasis
zum Verständnis des Lebens der Generationen in mehreren Jahrhunderten. Dies fordert geradezu heraus, daß hier neues Wissen zusammen mit den sterblichen Überresten der Persönlichkeiten generiert wird.
Die Paulinerkirche war und ist auch weiterhin ein Friedhof
Während mit der Bergung der Toten mehrere hundert Kindersärge Hauptbestandteil und Gegenstand der Forschung sein werden, gab es in der Geschichte der Leipziger Paulinerkirche
mehr als die im Jahre 1964 von Landeskonservator Dr. Hans Nadler geschätzten 800 Begrabenen.
Der SED-Führung + Stasi ging es in erster Linie darum, "verwertbare Beute" für ihre expandierende Spitzeltätigkeit im westlichen Ausland zu beschaffen.
"Vorsozialistische" bzw. bürgerliche Geschichte mehrerer Jahrhunderte galt es auszulöschen, auch wenn es selbst nach DDR-Gesetzen kriminell war und ethische Grenzen sprengte.
Das Ergebnis kann man auf dem Bildausschnitt aus einer Foto-Mappe des VEB Baukombinat Leipzig sehen. Es zeigt die Gründungsarbeiten am Hauptgebäude der "Karl-Marx-Universität" im Februar 1969.
Die Grundplatte für das (inzwischen längst wieder abgerissene) "Hauptgebäude der Karl-Marx-Universität" wurde relativ flach angelegt. Dies deckte nur einen Teil der Fläche der Paulinerkirche ab.
So ist es nicht verwunderlich, daß auch danach Grabteile oder sterbliche Überreste gefunden werden konnten - wie ein Beitrag von mdr Zeitreise mit einem Fund an der Ostseite (Augustusplatz) vorführt.
Denn die Ausmaße der Paulinerkirche betragen in der Rossbachschen Fassung (bis 1968) in der Breite 30 Meter, in der Länge 66 Meter und in der Höhe (Kirchturmspitze) etwa 58 Meter. Dem entsprechend gab es auch mehrere Kellergeschosse.
Die SED beließ es dagegen in ihrer "Schnell-schnell" - Aktion aus Eile und mangels Sachkenntnis bei der obersten Kellerebene. Somit befinden sich weiterhin Gräber auf ihrer Grundfläche, den die SED mit besagter Grundplatte zudeckelte.
Unten ist der Grundriß aus der Zeit Rossbachs zu sehen, rechts daneben wie er vermutlich vor dem Jahre 1540 war, bevor Martin Luther die Paulinerkirche 1546 als erste evangelische Universitätskirche weihte.
Denn schon zu dieser Zeit war der vordere Teil obererdig zugunsten der Stadtmauer geschliffen. Damit war die Paulinerkirche ursprünglich noch länger und mit den später angelegten Grabkapellen noch breiter angelegt.
Osten Grundriß vor Sprengung und vor 1545
Westen
Der dritte Grundriß links zeigt die Paulinerkirche in ihrer Geutebrückschen Fassung um 1875. Einen wichtigen Unterschied bildet hierbei die insbesondere noch mittig ausgerichtete Bestuhlung nebst Kanzel.
Grundriß um 1875 und Abrißflächen 1968
Die rechte Abbildung mit den rosa eingefärbten Flächen soll dagegen verdeutlichen, was nicht geborgen wurde. Dazu muß man sich den Ablauf des kriminellen DDR-Staatsaktes vor Augen halten.
Nach der Sprengung der Paulinerkirche und 14 Tage später nach der Sprengung der weiteren Universitätsbauten wurde alles eilends und stets bewacht in die Etzoldsche Sandgrube abtransportiert.
Nichts von den Teilen durfte angefaßt oder gar geborgen werden. Die größten in der Region vorhandenen Bagger wurden dafür eingesetzt, um auch voluminösere Teile sofort und problemlos wegschaffen zu können.
Vor dem Hintergrund, daß die Etzoldsche Sangrube in keiner Weise gesetzlichen Ansprüchen einer Deponie genügt und somit früher oder später fach- und umweltgerecht sowie archäologisch fundiert
geöffnet und aufgearbeitet werden muß, sind in diesem Zusammenhang die Toten zu erwähnen, die nicht geborgen, sondern rigoros abgebaggert wurden.
Auf der Nordseite der Paulinerkirche trifft das für die Verstorbenen in den Kapellen zu, insofern nicht bereits bei Umbauarbeiten unter Geutebrück und Rossbach eine Exhumierung erfolgte.
Auf der Südseite wurden insbesondere Tote aus der Völkerschlacht in größerer Anzahl (als die Paulinerkirche als Lazarett fungierte) vermutlich gemeinschaftlich bestattet.
Und auf der Ostseite zum späteren Augustusplatz tangiert es insbesondere Johann Tetzel, der dort zur Erden kam und als Pestopfer in einem Zinksarg vermutlich nicht wieder umgebettet wurde.
Weitere Bestattungen gerade aus den Frühzeiten der Paulinerkirche vor 1550 sind derzeit schwerlich nachweisbar. Die betreffenden Unterlagen sind wohl in Zeiten der Völkerschlacht,
als sich ein Archiv in der ersten Etage der Paulinerkirche befand, vermutlich in Verlust geraten, zumal die Beerdigungen (bis 1790) bereits damals ein abgeschlossenes Kapitel waren.
Hellrosa sind die hinteren Flächen angedeutet, die im Zuge der Neuplanungen nach 2003 rechtswidrig kommerziellen Nutzungen zugeführt und von der Paulinerkirche förmlich abgehackt wurden.
Erst nach den abschließenden Auswertungen des nationalen Forschungsprojektes wird man unter Zuhilfenahme der Funde von 2007, die nicht an die Öffentlichkeit gelangten (sächsische "Laufschritt-Archäologie"),
abschätzen können, was wohl noch an Gräbern unter der von der SED angelegten Grundplatte liegt.
Südwand des Hauptchores um 1880 (Montage)
SED, Stasi und kein Ende?
Diese Seite dürfte es eigentlich gar nicht geben. Denn nach ihrer Sprengung 1968 wurde die Paulinerkirche wie vieles andere in der DDR bis zum Jahre 1989 völlig totgeschwiegen.
Bereits ihre Benennung war Anlaß für disziplinarische Maßnahmen, und es konnte jederzeit passieren, daß man durch kritische Äußerungen in den Fokus der Stasi geriet.
Da nun nachvollzogen werden kann, um welche unaufgeklärten Schandtaten von SED, Stasi & Co. es hierbei geht, kann man sich vielleicht vorstellen,
mit welchem Aufwand versucht wurde, dies nicht ans Licht kommen zu lassen.
Als im Jahre 1998 die ersten zaghaften Ansätze für eine Neuplanung auf dem innerstädtischen Areal der Universität Leipzig gestartet wurden,
bügelten die beauftragten bzw. beteiligten ehemaligen SED-Mitglieder der Universität erst einmal alle geschichtlichen Bezüge ab, teils weil es noch Beteiligte von 1968 gab,
teils weil sie aus ihrer sozialistischen Erziehung heraus vermeinten, Kirche, Religion, bürgerliche Werte etc. stellen nur etwas Reaktionäres, Überholtes und Rückwärtsgewandtes dar.
Doch allein auf in diesem Sinne Erzogene konnte man nicht setzen. Damit ja nichts ruchbar wurde, mußte organisiert werden, daß direkt Profitierende auf allen Ebenen Einfluß nahmen,
um Schandtaten zu vertuschen von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, über Wissenschaftsspitzel der HV A und von ihr gecastete DDR-freundliche Günstlinge,
die nach der Wende aus dem Westen kommend, an der ehemaligen KMU Professoren- und sonstige Leitungsposten bekamen bis zu SED-Perspektivkadern in den Blockparteien etc. pp.
- wozu Nobelpreisträger Prof. Günter Blobel im Rückblick sagte, daß er gottlob die meisten Namen aus seiner Erinnerung getilgt hat.
Zwar gelang es durch Geschichtsklitterung wie beim ehemaligen Fürstenhaus gesichtslose Neubauten zu kreieren oder wie mit dem Hörsaal- und Seminargebäude unpraktische und marode DDR-Bauten zu retten,
aber das Scheitern des derzeitigen Nachfolgebaues an der Stelle der Paulinerkirche mit dem vorsätzlich fälschenden Namen Paulinum war stets vorhersehbar.
Nicht allein der Schildbürgerstreich, daß dort hinein die Sonne hell aus nördlicher Richtung scheinen sollte, war dafür ausschlaggebend.
Auch nicht, daß abgehackte Säulen, eine Aquariumsglaswand und scherenschnittartige Innengestaltungen den jetzigen Raum und Betonklotz banal und unattraktiv machen.
Es ist ganz einfach die fehlende ethische Grundhaltung vor den Altvorderen. Es ist der fehlende Respekt vor Martin Luther, der an dieser Stelle 1545 die Paulinerkirche als erste deutsche Universitätskirche weihte.
Es ist die fehlende Achtung vor Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy und Max Reger, die ihre Werke unter eigenem Dirigat in der Paulinerkirche uraufführten.
Und es ist eben die fehlende Ehrfurcht und Würdelosigkeit vor jenen, die die Universität Leipzig, die Stadt und u.a. die wissenschaftliche Welt über die Jahrhunderte mitgestalteten, und in der Paulinerkirche begraben wurden.
Wie dem auch sei, in diesem Falle folgte aufgrund der Sacharbeit Hausverbot an der Universität Leipzig und eine bis heute anhaltende Ausgrenzung. Die Aufklärung der Gründe
zur organisierten Verhinderung des u.a. von 27 Nobelpreisträgern geforderten spendenmittelfinanzierten originalgetreuen Wiederaufbaus der Leipziger Universitätskirche St. Pauli
und die notwendige Wiedergewinnung bürgerlicher Werte konnte und kann man allerdings nicht verhindern.